Man weiß eigentlich nicht viel über die Pikten (Latein. picti = die Bemalten), einen der letzten Stämme der großen keltischen Kultur. Kelten werden erst bei den Griechen erwähnt, die von Menschen entlang der Küsten des Atlantiks und der Nordsee berichteten. Im 4. Jahrhundert v. Ch. waren sie so zahlreich und miteinander verbunden, dass sie als einer der vier großen barbarischen Volksstämme galten. Ihre Einheit war, soweit wir heute wissen, weniger politisch als kultureller Natur.

Der Name picti tauchte 297 n. Ch. zum ersten Mal als Bezeichnung für feindliche keltische Stämme des römischen Britanniens auf. Zu dieser Zeit vereinten sich die beiden großen Stämme dieser Region, die Kaledonier und die Maiaten, zu den Pikten. Danach wurden sie - bis zu ihrem Untergang ca. 900 n. Ch. - häufig gemeinsam mit den Schotten und den Sachsen erwähnt. Eigentlich sollten die Sachsen von europäischen Festland die Pikten Britanniens bekämpfen, überfielen aber auch ihre eigentlichen Verbündeten und besetzten den größten Teil Englands - womit sie den Grundstein für die englische Kultur legten. In der Zwischenzeit eroberten die Wikinger die nördlichen Gebiete der Pikten, während der Skotenkönig Kenneth MacAlpin ihre südlichen Gebiete mit seinem Reich im Westen zum schottischen Königreich vereinte.

Der größte Teil überlieferter Kunst stammt aus den letzten Jahrhunderten keltischer Kultur, und zwar in Form reich kolorierter heiliger Schriften und religiöser Schmiedearbeiten. Sie sind bekannt für ihre komplizierten verschlungenen Muster, die streng geometrischen Formen mit einer Fülle von individuellen Motiven vereint. Es scheint, als ob das Aufeinandertreffen zweier völlig verschiedener Stilrichtungen - des Formalismus der Byzantiner, Griechen und Römer und des fließenden, verschlungenen Stils der Kelten - bei den Pikten und ihren Nachbarn in Northumberland und Irland geradezu eine Explosion an Kreativität hervorrief. Herodian schrieb darüber:"Sie bemalen ihre Körper mit bunten Farben und mit allen möglichen Tierbildern." Wahrscheinlich haben die meisten damals entstandene Illustrationen ihre Wurzeln in vorchristlichen Motiven der ursprünglichen keltischen Kunst.

Fast alle Fortschritte in der keltischen Kunst entwickelten sich in Zeiten von Wachstum und Reichtum. Eroberungen und Handel brachten auch eine stärkere Produktion von künstlerisch gestalteten Gegenständen mit sich. Durch den Handel kam immer auch eine Fülle neuer Motive und Inspirationen hinzu, die zu einer immer größeren Variationsbreite von dekorativen Mustern führte.

Gehen wir aber noch mal zurück zum Ursprung der piktischen Kultur. Um 800 v. Ch., zu Beginn der sogenannten Hallstattkultur, begann die Entwicklung der typischen Merkmale keltischer Kunst. Auffallend sind Tiermotive, verschlungene Linien, spiralförmige Muster, Flecht- und Gitterwerk. Wahrscheinlich wurden diese Muster von Handelswaren aus dem Süden und Osten übernommen. Immer wieder hat es sich im Lauf der Jahrhunderte gezeigt, dass die Kelten fremde Einflüsse nicht nur kopierten, sondern vor allem nutzten, um ihren unverwechselbaren Stil weiterzuentwickeln.

Die Hallstattkultur schritt rasch voran, als die Kelten sich weiter ausbreiteten und den Handel verstärkten. Um ungefähr 550 v. Ch. wurde z. B. ein germanischer Fürst mit einem Seidenumhang beerdigt, der vermutlich aus China stammt.

Es folgte die La - Tène - Kultur, die hier etwa 500 v. Ch. bis 100 n. Ch. dauerte. Sie wurde benannt nach dem Ort La Tène am schweizerischen Neuenburger See, wo zahlreiche Objekte aus dieser Zeit geborgen werden konnten - vermutlich handelt es sich hier um eine ehemalige Opferstätte.

Opfergaben in Gewässern wie Brunnen, Seen und Flüssen finden sich durch die gesamte Geschichte der keltischen Kultur. Vielleicht gibt es deshalb noch heute in Britannien und Irland Orte mit reich verzierten Brunnen und Quellen, die allerdings eher religiöse Symbole zeigen als Schwerter und Schilde. Die ausgegrabenen Waffen erscheinen unbenutzt. Die meisten dienten vermutlich als Opfergabe für Frieden und mehr Reichtum. Vielleicht waren die Waffen in relativ friedlichen Zeiten auch einfach nicht von Nutzen.

Aber diese Zeit sollte ein Ende haben. Etwa zwischen 100 v. Ch. und 100 n. Ch. wurde die La - Tène - Kultur durch das vordringende römische Reich ausgelöscht. Nur die Nordwestküste Europas blieb verschont: Hier hielt man die alte Kultur aufrecht und übernahm nur, was gefiel. Die entgültige Blütezeit keltischer Kunst fand daher auf den britischen Inseln statt. Aus dieser Kultur gingen die Pikten hervor, die sie weiterentwickelten. Die etwa 200 noch erhaltenen Steinskulpturen (nur ein Bruchteil der ursprünglich vorhandenen) spiegeln den Reichtum der piktischen Schaffenskraft wider: Ihre Variationsbreite reicht von geheimnisvollen Zeichen auf Steinplatten bis zu üppig verzierten Kreuzen. Während die künstlerische Verzierung der Kreuze und die Illustrationen der heiligen Schriften über Jahrhunderte hinweg von Kunsthistorikern gründlich untersucht wurden, hat man die Steinarbeiten kaum beachtet, da es solche im übrigen Europa nicht gab und ihre Geschichte rätselhaft blieb.

Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass die Pikten die Muster auf diesen Steinen für die Körperbemalung übernahmen, aber die Frage bleibt: Was bedeuteten sie? Lange Zeit nahm man an, dass es sich um Stammessymbole handelt, ähnlich den späteren Tartans der Schotten. Unwahrscheinlich ist jedenfalls, dass es schamanische Symbole waren, da sie sehr häufig auf den christlichen Steintafeln auftauchten. Genauso wenig ist anzunehmen, dass sie allein zur Dekoration dienten, denn in diesem Fall wären sie von Künstler zu Künstler sehr unterschiedlich - sie sind aber streng formalisiert.

Wenn, wie überliefert, die Krieger solche Symbole in der Schlacht trugen, könnte man annehmen, dass sie quasi das Gegenteil einer Tarnung darstellen sollten: Bei Kämpfen Mann gegen Mann sind Tarnungen sinnlos, aber in einer tristen, farblosen Umgebung könnten unheimliche, ins Auge fallende Bemalungen in grellen Farben den Gegner durchaus irritieren. Wenn es ums Überleben ging, war offenbar jedes Mittel recht.

Was auch immer die Bemalungen ursprünglich bedeuten mochten, die geheimnisvolle Schönheit und unergründliche Kraft der keltischen Kunst bleibt faszinierend - bis heute.

Quelle: Celtic Tattoos - Andy Sloss - VGS Verlagsgesellschaft - 1998


Update: 26.Mai 2004