Die keltische Variation des klassischen Weinstocks ist kein traditionelles Muster und war weder allgemein gebräuchlich, noch weit verbreitet. Allerdings gibt es einige Darstellungen im Book od Kells und auf Steinskulpturen im südlichen Gebiet der Pikten (Südostschottland und Northumberland), so dass dieses Ornament also zur Zeit von Isidor von Sevilla durchaus bekannt war.

Das Motiv beginnt stets mit einem Topf, in dem der Weinstock wächst (also eher wie bei asiatischen oder klassischen Vorlagen). Die Kelten benutzten fast ausschließlich ein verzweigtes Spiralmuster, und nur selten die klassischen Formen. Es gibt nur zwei Beispiele für Muster mit christlicher Anlehnung (Book of Kells). Obwohl es durchaus einen Austausch zwischen Christen und Heiden gab, ist es unwahrscheinlich, dass die Pikten solch ein fremdartiges Bild zur Körperbemalung nutzten.

Damit man die Muster leichter erkennen kann, zeigen die Linien an, wo die Abschnitte sich wiederholen.


Menschendarstellungen

 

Wie in dem Kapitel der frühen keltischen Kunst bereits beschrieben, gibt es eine lange Tradition, Menschen (-Köpfe) in Flechtmuster einzuarbeiten. Obwohl die Gesichter in den illustrierten Schriften offenbar von byzantinischen Vorbildern kopiert wurden, gehen die abgebildeten Männer eher auf die frühe keltische Tradition zurück. Wie die Muster mit dem Baum des Lebens stammt auch die größte Zahl dieser Abbildungen aus den northumbrischen Schriften und von den verzierten Kreuzen aus dem Osten Schottlands, so dass sie gut zur piktischen Körperkunst passen.

Die Gesichter wurden fast immer gleich dargestellt: mit Mandelförmigen Augen und runden Pupillen. Frontalansichten wurden in der Regel wie auf der Abbildung oben gezeichnet, Profile wurden ähnlich ausgeführt. Haare gingen (wie bei den Kopffedern der Vogelmotive) häufig in Windungen und Spiralen über, um freie Flächen zu füllen. Seltsamerweise wurde nie eine der seltsamen Tonsuren abgebildet, wie die Columbaner- und Augustinermönche als Zeichner dieser Bilder sie trugen. Bärte tauchten nur dort auf, wo noch Raum mit Flechtwerk auszufüllen war, und die Träger halten sie normalerweise in ihren Händen. Bei den Kelten galt helles Haar als gut, dunkles Haar als böse.

Wie bei den Tiermotiven gingen hier auch die Körper oft in bizarre Windungen über, um Flächen auszufüllen, blieben aber immer als Körper erkennbar. Es bedarf schon einiger Übung, um ein solches Muster selbst zu entwickeln - aber es lohnt sich.


Die piktischen Symbole

 

Alle folgenden Abbildungen stammen von Steinskulpturen der Pikten an der Ostküste Schottlands aus dem 6. Jahrhundert nach Christus, also zu Beginn der Christianisierung in diesem Gebiet. Tatsächlich finden wir viele dieser Symbole auch auf Steinkreuzen, so dass es vermutlich keine religiösen Einwände gegen sie gab. Auch wenn ihre symbolische Bedeutung ursprünglich aus heidnischer Zeit stammt, sah man in ihnen durchaus die Darstellung christlicher Tugenden. Dass diese Symbole überall in gleicher Weise vorkamen, lässt vermuten, dass es sie schon viel früher gab und dass die Steinskulpturen nur der erste noch vorhandene Hinweis auf sie sind.

Als tierische Motive erscheinen in der gesamten Gegend Eber, Stier, Hund und Fisch, die alle eine besonderte Bedeutung haben: Der Eber symbolisiert Stärke in der Schlacht, der Stier Fruchtbarkeit und Reichtum (Rinder galten als Zahlungsmittel), der Hund Treue und Pflichterfüllung, und der Fisch stand für Weisheit. Pferdeköpfe tauchten häufig auf, aber ihre Darstellung scheint keiner Regel zu unterliegen, vielleicht weil es ganz bestimmte Pferde waren und man versuchte, sie möglichst realistisch darzustellen.

Im Gegensatz zur festgelegten Symbolik der Tiermotive stehen die in Steinskulpturen eingemeißelte Figuren. Besonders fremdartig wirkt die in Papil/Shetland gefundene Darstellung eines menschlichen Paares mit Vogelköpfen, die eher ägyptisch als keltisch anmuten - aber nicht als einzige: Eine Steinplatte in Rossie Priory in Schottland inmitten einiger bizarrer Kreaturen zwei Lamaähnliche Tiere mit menschlichen Köpfen und schlangenförmigen Schwänzen. Bekannt sind auch mindestens zwei Versionen einer Seepferddarstellung, eines Fabelwesens mit dem Vorderkörper eines Pferdes und dem Hinterkörper eines Fischs. Die Bedeutung dieser Geschöpfe bleibt uns leider verschlossen.

Das letzte Bild (unten) das am wenigsten verständliche. Es wird normalerweise als "Stimmgabel" bezeichnet, könnte allerdings genauso gut ein zerbrochenes Schwert sein. Da aber die Enden glatt sind, ist es unwahrscheinlich.

All diese Rätsel zeigen, dass wir - trotz der vielen keltischen Bildern aus etwa zwei Jahrtausenden - sehr wenig über die Menschen und ihre Gedanken wissen. Indem wir ihre Kunst nachvollziehen, können wir vielleicht dem Zeitalter vor der geradlinigen Kultur der Römer ein kleines Stück näher kommen...

Quelle: Celtic Tattoos - Andy Sloss - VGS Verlagsgesellschaft - 1998


Update: 26.Mai 2004